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Neues Versorgungsmodell «AdvantAGE»

Das Pilotprojekt AdvantAGE erleichtert älteren Menschen den Übergang vom Spital nach Hause. Dr. Oliver Mauthner, Chief Nursing Officer der Universitären Altersmedizin FELIX PLATTER, gibt Einblicke in die bisherigen Erfahrungen des Projekts.

Ein sicherer Übergang vom Spital nach Hause - das Pilotprojekt AdvantAGE

Viele ältere Menschen stehen bei der Rückkehr ins eigene Zuhause nach einem Spitalaufenthalt vor neuen Herausforderungen: Die Kräfte sind geschwächt, gewohnte Abläufe fallen schwer und oft müssen sie sich an neue gesundheitliche Einschränkungen anpassen. Besonders in den ersten Wochen nach der Entlassung besteht ein erhöhtes Risiko für Komplikationen, die zu einer erneuten Hospitalisation führen können. Damit dieser Übergang besser gelingt, hat die Universitäre Altersmedizin Felix Platter (UAFP) mit Unterstützung des Gesundheitsdepartements Basel-Stadt und weiteren Partnern das Pilotprojekt AdvantAGE ins Leben gerufen. Es unterstützt ältere Menschen nach einem Spitalaustritt, damit sie sicher und selbstbestimmt zu Hause bleiben können.

Das Projekt AdvantAGE wurde von der UAFP in Zusammenarbeit mit Hausärztinnen und Hausärzten, der Spitex, Apotheken sowie dem Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel entwickelt und gezielt auf ältere Menschen mit komplexen medizinischen und sozialen Herausforderungen ausgerichtet. AdvantAGE steht für “Development and implementation of an ADVANced Practice Nurse-led interprofessional Transitional cAre model for frail GEriatric adults1". Es handelt sich also um ein Übergangsmodell, das von speziell ausgebildeten Advanced Practice Nurses2 (APNs) geleitet wird. Für bis zu 90 Tage nach dem Spitalaustritt werden Patientinnen und Patienten von einem interdisziplinären Team betreut, das sich aus Ärztinnen und Ärzten, APNs, Pflegefachpersonen, Sozialarbeitenden, Physiotherapeutinnen und ‑therapeuten, Ergotherapeutinnen und ‑therapeuten sowie Psychologinnen und Psychologen zusammensetzt. Die Anschlussversorgung wird für die Patientinnen und Patienten individuell abgestimmt und umfasst neben der Betreuung auch präventive Massnahmen wie Medikamentenmanagement oder vorausschauende Gesundheitsplanung. Nach drei Monaten findet eine Abschlussbesprechung statt, bei der ein umfassender Versorgungsplan erstellt wird.

Fussnoten

1: Sinngemäss übersetzt: Modelle für die pflegerische Begleitung von Übergängen unter Leitung einer speziell ausgebildeten Pflegefachperson (Advanced Practice Nurse) im interprofessionellen Team mit Fokus auf gebrechliche ältere Menschen.

2: Akademisch weitergebildete Pflegefachperson mit erweiterten Kompetenzen in klinischer Versorgung, Beratung und Koordination. Im internationalen Sprachgebrauch als Advanced Practice Nurse (APN) bezeichnet.

Übergangsphase mit AdvantAGE: ein Beispiel

Frau Meier, 82, leidet an Herzschwäche und musste nach einem Sturz ins Spital. Nach ihrem Aufenthalt wird sie nach Hause entlassen. Sie freut sich darauf, wieder in ihrer gewohnten Umgebung zu sein. Doch kaum angekommen, steht sie vor neuen Herausforderungen: Die Medikamentenliste ist lang, sie fühlt sich schwach und die Koordination mit ihrer Hausärztin überfordert sie. Wie Frau Meier geht es vielen älteren Menschen, und nicht selten führt diese Unsicherheit dazu, dass sie schon nach kurzer Zeit wieder ins Spital müssen.

Hier setzt AdvantAGE an: Bereits am ersten Tag nach ihrer Rückkehr nach Hause nimmt die APN, die Frau Meier bereits im Spital kennengelernt hatte, mit ihr Kontakt auf. Sie bespricht mit ihr die Medikamenteneinnahme, da die vielen Präparate für Frau Meier unübersichtlich sind. Die APN klärt offene Fragen und organisiert, dass die Apotheke ihre Medikamente vorsortiert. Auch Stolperfallen in der Wohnung werden bei einem Hausbesuch durch eine Ergotherapeutin identifiziert und behoben, um weitere Stürze zu vermeiden.

Durch regelmässige Gesundheitskontrollen stellt die APN fest, dass Frau Meier innerhalb kurzer Zeit an Gewicht zugenommen hat – ein ernstzunehmendes Warnzeichen bei Herzschwäche. Sie informiert umgehend die Hausärztin, die schnell reagieren kann und eine Verschlechterung ihres Zustands verhindert. Auch Herr Meier, der seine Frau pflegt, erhält Unterstützung. Die APN organisiert Spitexleistungen, um ihn zu entlasten. Nach zwei Monaten fühlt sich das Ehepaar sicherer und besser betreut. Sie haben gelernt, Warnzeichen der Herzschwäche frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu handeln, um Komplikationen zu vermeiden. Durch die Unterstützung von Spitex und Apotheke ist ihr Alltag nun besser bewältigbar und sie fühlen sich gut gerüstet für die Zukunft. Damit endet die Begleitung von Frau Meier durch AdvantAGE.

AdvantAGE: ein Modell mit viel Potenzial

Prognosen der UAFP zeigen, dass AdvantAGE die Anzahl der Pflegetage bei den Teilnehmenden des Pilotprojekts um bis zu 30% senken kann. Zudem kann das Modell bei 20% der Patientinnen und Patienten eine erneute Hospitalisation verhindern. Darüber hinaus werden im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die Belastung pflegender Angehöriger, die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten sowie die Wahrnehmung des Modells durch Hausärztinnen und Hausärzte untersucht. Erste Evaluationsergebnisse werden im Verlauf des Jahres 2025 erwartet und sollen als Grundlage für eine mögliche Überführung des Modells in die Regelversorgung dienen.

Blick aus der Praxis: Interview mit Dr. Oliver Mauthner, Chief Nursing Officer, Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER

Dr. Oliver Mauthner

CNO Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER

Herr Dr. Mauthner, warum wurde das Projekt AdvantAGE ins Leben gerufen?

Nach einem Spitalaufenthalt haben Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen Schwierigkeiten, sich im komplexen Gesundheitssystem zurechtzufinden. Durch mangelnde Koordination zwischen verschiedenen Gesundheitsdienstleistern entstehen oft Informationslücken, die zu Fehldiagnosen oder unzureichender Nachsorge führen können. Das Projekt wurde entwickelt, um diese Herausforderungen gezielt anzugehen und eine sichere Rückkehr nach Hause zu ermöglichen.

Welche konkreten Verbesserungen bringt AdvantAGE gegenüber der bisherigen Standardversorgung?

Im Gegensatz zur Standardversorgung, in der Patientinnen und Patienten nach dem Spitalaufenthalt oft allein gestellt sind, bietet AdvantAGE eine frühzeitige und individuelle Begleitung durch ein interdisziplinäres Team. Dies sorgt dafür, dass Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen nicht den Anschluss verlieren. Informationslücken werden geschlossen, Unsicherheiten abgebaut und die Belastung, die normalerweise auf den Schultern der Betroffenen lastet, wird verringert. Durch diese Begleitung können gesundheitliche Probleme frühzeitig erkannt und behandelt werden, bevor es zu Komplikationen oder einer erneuten Hospitalisation kommt.

Welche besondere Rolle spielen die Advanced Practice Nurses (APNs) im AdvantAGE-Modell?

Die APNs sind entscheidende Akteure in unserem Modell. Sie begleiten die Patientinnen und Patienten nach dem Spitalaustritt, führen klinische Untersuchungen durch, beraten hinsichtlich der Medikamenteneinnahme und organisieren bei Bedarf weiterführende Unterstützung. Darüber hinaus koordinieren sie die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen den anderen Gesundheitsfachpersonen

Wie hat sich das Projekt AdvantAGE seit der Implementierung entwickelt und welche Erfahrungen haben Sie und Ihr Team bisher gesammelt?

Seit der Implementierung im Jahr 2023 hat sich das Projekt AdvantAGE sowohl organisatorisch als auch inhaltlich weiterentwickelt. Eine der grössten Herausforderungen bestand darin, die effektive Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren sicherzustellen und eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Erste Rückmeldungen von Patientinnen, Patienten und Angehörigen betonten die Wichtigkeit einer schnellen und unkomplizierten Betreuung. Diese Erkenntnisse haben uns geholfen, das Modell weiterzuentwickeln. Seither fielen die Rückmeldungen positiv aus, insbesondere hinsichtlich der persönlichen Betreuung und der schnellen Reaktionszeiten nach dem Spitalaustritt. Auch vonseiten der Gesundheitsdienstleister wird das Modell geschätzt, vor allem wegen der Entlastung der Hausärztinnen und Hausärzte sowie der verbesserten interdisziplinären Zusammenarbeit.

Gibt es schon erste Hinweise auf Erfolge?

Ja, wir haben bereits erste Hinweise auf eine Reduktion der Rehospitalisierungen. Ein häufig genanntes Ergebnis ist, dass durch die strukturierte Nachsorge Gesundheitsprobleme frühzeitig erkannt und behandelt werden können. Wir müssen hier jedoch auf den Abschluss der Studie warten, um eine fundierte Analyse durchführen zu können. Wir erwarten, dass wir durch eine längere Beobachtungszeit noch präzisere Daten zur Effektivität des Projekts sammeln können.

Wo sehen Sie aktuell die grössten Herausforderungen für die Zukunft von AdvantAGE?

Eine der grössten Herausforderungen liegt in der Weiterentwicklung und klaren Festlegung der Rolle der APNs innerhalb des Versorgungsmodells. Ihre Rolle muss weiter gestärkt und als integraler Bestandteil der Versorgung anerkannt werden. Auch die langfristige Finanzierung des Projekts über die Pilotphase hinaus stellt eine Herausforderung dar.

Gibt es Akteure oder Organisationen, die in Zukunft stärker eingebunden werden sollten, um den Erfolg des Modells langfristig zu sichern?

Zukünftig sollten mehr Akteure wie Pflegeeinrichtungen, zusätzliche Hausarztpraxen und spezialisierte klinische Zentren stärker eingebunden werden, um eine nahtlose Versorgung zu gewährleisten. Auch die Einbindung von weiteren sozialen und kommunalen Unterstützungsdiensten könnte das Modell bereichern.

Wie stehen die Chancen, dass AdvantAGE nach der Pilotphase in die Regelversorgung überführt wird?

Die Chancen stehen gut, insbesondere wenn sich die positiven Ergebnisse weiterhin bestätigen. Dafür braucht es jedoch klare gesetzliche und finanzielle Unterstützung sowie eine breite Anerkennung des Modells durch alle relevanten Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen. Entscheidend wird zudem sein, das Modell in breitere Versorgungsnetzwerke zu integrieren, um eine flächendeckende Umsetzung zu ermöglichen.